Neue Justiz, Zeitschrift für Recht und Rechtswissenschaft 1947, Seite 181

Neue Justiz (NJ), Zeitschrift für Recht und Rechtswissenschaft [Sowjetische Besatzungszone (SBZ) Deutschland], 1. Jahrgang 1947, Seite 181 (NJ SBZ Dtl. 1947, S. 181); 1. M. S. 56 Jhr. Stirnhirnverletzung, bedroht tätlich einen Beamten, der ihm das Gas wegen Überschreitung des Kontingentes sperren will. Nach erregtem Wortwechsel mit Beschimpfungen und Beleidigungen packt er den Beamten am Kragen und setzt ihn vor die Tür. Er wird zu 400, EM Geldstrafe verurteilt. Ärztliche Begutachtung erfolgte nicht. S. gab auch nicht an, daß er Hirnverletzter sei. Es handelt sich hier um eine typische spontane Erregungs-Reaktion eines Hirnverletzten, der sich aus primitivem Rechtsbewußtsein zu Unrecht angegriffen und bedroht fühlte und, ohne die Situation kritisch zu überlegen, auf Grund seiner Erregtheit spontan reagierte. Bei einer solchen Reaktionshandlung eines Himverletzten liegt verminderte Zurechnungsfähigkeit vor. 2. A. K. 40 Jhr. Stirnhirnverletzter. Hochgradig erregbar. Epilepsie, Geräuschüberempflndlichkeit. Krach mit der über ihm wohnenden Familie, weil er das Trampeln über seinem Kopf nicht vertragen kann. Stetige gegenseitige Reibereien. Anläßlich eines Festes, das die oben wohnende Familie gab, dringt K. in höchster Erregung in deren Wohnung ein und beschimpft die Hausfrau in Gegenwart der Gäste mit unvorstellbaren Ausdrücken. Er wird zu drei Monaten Gefängnis wegen Beleidigung und Verleumdung verurteilt. Auch K. wurde nicht ärztlich untersucht und ist ebenfalls nicht auf die Idee gekommen, seine Hirnverletzung zu erwähnen. Auch hier sind die Voraussetzungen der verminderten Zurechnungsfähigkeit aus Anlaß eines reaktiv ausgelösten, wahrscheinlich präepileptischen Erre-gungs- und Wutausbruches gegeben. 3. W. R. 31 Jhr. Schläfenbeinverletzung links. Parese der r. Körperhälfte. Leichte Sprachstörung. Muß in der verkehrsreichen Zeit mit der U-Bahn von der Arbeit heimfahren. Naß geschwitzt und am ganzen Körper zitternd in Erwartung des Zuges, ist er in höchster Erregung, ob er mitkommt, da er sich infolge der Parese nicht mit der gleichen Behendigkeit durchzudrängeln vermag wie die anderen. Beim Aussteigen steht ein Mann quer vor dem Gang und rührt sich nicht. Auf die Aufforderung hin, Platz zu machen, wurde er grob. Daraufhin packte R. den Mann, stößt ihn aus dem Zuge, daß er stolpert und versetzt ihm einen Tritt in den Rücken. In seiner Wut will er weiter auf ihn einschlagen, aber die Polizei nimmt ihn fest. Er wird zu einem Monat Gefängnis verurteilt. Ärztliche Begutachtung fand nicht statt. R. gab auch nicht an, daß er eine Hirnverletzung erlitten hatte. Hier trifft das, was im Falle 1 und 2 gesagt wurde, ebenfalls zu. Alle Hirnverletzten sind gegen Alkohol außerordentlich intolerant, so daß schon eine sehr geringe Menge davon zu schwersten Rauschzuständen führt und auch epileptische Anfälle, Wutzustände und Dämmerzustände verursachen kann. Begegnet man Individuen, die durch Schußverletzung oder stumpfe Gewalt ein Auge verloren haben und die gegenüber früher schwere charakterliche Veränderungen aufweisen, so muß man daran denken, daß es sich um eine Stirnhirnverletzung handeln kann, denn das obere knöcherne Augendach ist papierdünn, und es kommt häufig zu Splitterungen und Verletzungen des Gehirns, die meist nicht erkannt werden. Charakteristisch ist folgender Fall: H. St. 19 Jhr. Stirnhirnverletzter, Verlust des r. Auges. Fa-cialislähmung. Sehr ärmliche Verhältnisse. Wegen der Hirnverletzung für regelmäßige Arbeit nicht brauchbar, ist er guten Willens, versucht immer wieder Arbeit anzunehmen, versagt aber. Mutter ist krank und arbeitsunfähig. Er leidet entsetzlich, daß er ihr nicht helfen kann. Versucht sein Glück auf dem Schwarzen Markt. Die Transaktionen mißlingen, da er betrogen wird. Versucht es von neuem und verwickelt sich noch mehr. Schließlich ist er so in die Enge getrieben, daß er nicht mehr aus noch ein weiß und meldet die Vorfälle freiwillig der Polizei. Macht dann aber einen Selbstmordversuch mit Luminal, wird in die Irrenanstalt eingewiesen, die ihn weiter der Fachstation für Hirnverletzte überweist. Anständiger Charakter, etwas pedantisch, kleinlich, pflichtbewußt, jedoch urteilsschwach. Hier handelt es sich um die typische Handlung eines ur-teilsschwachen Hirnverletzten, der infolge schwerster Notlage, in die er unverschuldet durch die Hirnverletzung gelangt ist, versucht, auf schiefem Wege zu den notwendigen Lebensgütern zu kommen. Er versagt auch hier und bemüht sich, auf den geraden Weg zurückzugelangen. Typisch ist das Versagen der Gesellschaft gegenüber dem Hirnverletzten. Der Mensch muß leben, er kann sich nicht selbst helfen: infolge der zur Zeit mangelhaft funktionierenden sozialen Fürsorge versucht er, vermöge seiner gestörten Urteilsfähigkeit sich auf illegalem Wege Vorteile zu verschaffen. Ärztlicherseits wird auf Straffreiheit und auf intensive fürsorgerische Betreuung plädiert. Bei Hirnverletzten, die mit dem Gesetz in Konflikt kommen, handelt es sich in den seltensten Fällen um asoziale oder kriminelle Persönlichkeiten; es kommen auch selten vorbereitete, gut durchdachte kriminelle Handlungen vor. Das Gros der Fälle bilden ausgesprochene reaktive Heftigkeitsdelikte, Körperverletzungen, Schlägereien, Beamtenbedrohungen und Beleidigungen, aber äuch kleine Diebstähle, Betrügereien, Unterschlagungen, Urkundenfälschungen und nicht selten sexuelle Delikte, vor allem Inzesthandlungen an eigenen Kindern. Auch dafür zwei Beispiele: . 1. V. R. 35 Jhr. Stimhirnverietzung, Verlust des re. Auges, Facialislähmung re., hochgradig erregbar, Verwirrtheitszustände, Wutausbrüche, Vergröberung, Arbeitsscheu, Prahl-neigung, dann wieder klagsam, weinerlich, sentimental. In seiner geschlechtlichen Funktion grob, roh, herrisch, unbeherrscht. Die Frau überrascht ihn, als er sein dreijähriges Töchterchen geschlechtlich berührt. Sie bringt die Sache zur Anzeige. R. wird verhaftet. Haltloser, enthemmter Stirnhirnverletzter, urteilsschwach, Neigung zu Spontari-handlungen und Kurzschlußreaktionen. Es besteht zweifellos verminderte Zurechnungsfähigkeit (§ 51, 2), so daß auf , Strafe zu erkennen ist. Da R. nicht haftfähig ist, wird die Strafe nicht zu vollstrecken sein. Sie ist aber geeignet, bei ihm einen Schock und eine Hemmung vor Begehung weiterer Straftaten hervorzurufen. Es wird außerdem erforderlich sein, ihn auf einige Monate in einer Hirnverletzten-Fachstation unterzubringen und ihn regelmäßig fürsorgerisch zu betreuen. Wahrscheinlich wird auch Entmündigung notwendig sein. * 2. D. B. 41 Jhr. Stimhirnverietzung durch stumpfe Gewalt. Schwere Wesensänderung, Verwirrtheitszustände, Wutanfälle, Urteilsschwäche, Denkstörung, Gedächtnisstörung, egoistisch bis zum Autismus. In sexuellen Dingen krankhaft gesteigerte Libido, hemmungslos, schamlos, grob, unersättlich. Belästigt seine Frau unausgesetzt, sogar in Gegenwart der 14jährigen gut entwickelten Tochter. Schließlich kommt es in Abwesenheit der Mutter dazu, daß er die Tochter vergewaltigt, die so verängstigt ist, daß sie ihm keinen Widerstand entgegensetzt. Es entwickelt sich ein dauerndes Inzestverhältnis. Die Mutter überrascht ihn einmal dabei, er bedrohte sie so, daß sie Angst hat, etwas dagegen zu unternehmen. Schließlich kommt die Angelegenheit durch Nachbarn zur Anzeige. B. wird verhaftet. Der Fall liegt ebenso wie der vorige und ist ebenso zu behandeln. In sehr seltenen Fällen kommt es auch zu Totschlag, Mord oder Selbstmord, und zwar in Zuständen epileptischer Demenz, für die die Erinnerung ganz oder teilweise erloschen sein kann, oder als Folge einer Kurzschlußhandlung. Auch hierfür seien zwei typische Fälle aus der Praxis angegeben: 1. G. E. 18 Jhr. Hirnverletzter. Keine Narben. Neurologisch ohne Besonderheiten. Das Röntgenbild zeigt zwei bohnengroße Granatsplitter in der Hirnmasse der mittleren Schädelgrube. Fahrlässige Tötung: Ein Freund kommt zu ihm herein, zeigt ihm eine Pistole, sie sei nicht in Ordnung. Er nimmt sie, hantiert mit ihr einige Griffe, ein Schuß geht los und trifft den Freund tödlich in die Brust. Er ist allgemein geordnet, intelligent, fleißig, gewissenhaft. In der psychologischen Prüfung jedoch offenbart sich ein infantiles Verhalten, eine gewisse Hilflosigkeit einfachen logischen Denkaufgaben gegenüber. Es handelt sich also bei der Tat um eine spontane Kurzschlußreaktion. Ein gewissenhafter Mensch weiß, daß er nicht mit einer Waffe hantieren soll und der Waffenbesitz verboten ist. Hier wurde zwischen Handlungsimpuls und Handlung das Bewußtsein durch organisch bedingten Denkausfall nicht eingeschaltet. Es ist also verminderte Zurechnungsfähigkeit anzunehmen. 2. N. P. 51 Jhr. Stirnhirnverletzung über der li. Augenbraue. Neurologisch o. B. Hochgradig erregbar, unklarer Kopf. Neigung zu läppisch-zänkischer Gesprächigkeit, Rechthaberei, Selbstüberheblichkeit, Prahlsucht. Sonst notorisch übererregbar. Klagte häufig über Magenbeschwerden und spa-tistische Durchfälle. Geht in eine Wirtschaft, spricht mit dem Wirt, den er kennt, Allgemeines und Persönliches über seine Beschwerden. Der Wirt sagt: „Du tust ja nichts, wozu bist du überhaupt noch nutze?“ mehr im Spaß. N. P. nickt bejahend. Es kommen andere Gäste, er geht weg. Eine halbe Stunde später findet man ihn erhängt im Abort. Genaue Untersuchung ergibt keine Neigung zum Suicid. Er ging von zuhause weg, ohne Ärger und Verstimmung gehabt zu haben. Lediglich der Ausspruch des Wirtes (wie dieser ihn glaubhaft berichtet) erregt in ihm den Suicidimpuls, dem er nicht durch kritische Überlegung oder Hemmung zu widerstehen vermochte. Der Hirnverletzte bietet dem forensischen Begutachter und dem Richter große Schwierigkeiten bei der Beurteilung seiner Zurechnungsfähigkeit, bei der Strafzumessung und bei der Frage der Haftfähigkeit. Grundsätzlich ist es notwendig, daß jeder Hirnverletzte und jeder, der auch nur wahrscheinlich an einer Hirnverletzung leidet, vom Hirnverletzten-Facharzt untersucht und begutachtet wird. Größter Wert ist dabei auf eine ausgiebige psychologische Untersuchung zu legen. (In der sowjetischen Okkupationszone stehen für diese Zwecke die Fachstation für Hirnverletzte und das Institut für psychologische Begutachtung im Waldkrankenhaus Berlin-Spandau und die Hirnverletzten-Fach-station in der Landesanstalt Bernburg/Saale zur Verfügung.) Wenn die- Möglichkeit dazu nicht besteht, muß ein forensischer Psychiater, der auf dem Gebiete der Hirnverletzungen versiert ist, hinzugezogen werden. Der forensische Psychiater wird über die Frage der Zurechnungsfähigkeit zu entscheiden haben. Dabei wird er bei einem Hirnverletzten volle Zurechnungsunfähigkeit (§ 51 Abs. 1 StGB) nur selten annehmen können. Diese wird fast nur bei solchen Handlungen in Betracht kommen, die im epileptischen Wutanfall oder im Dämmerzustand begangen worden sind. Bei den 181;
Neue Justiz (NJ), Zeitschrift für Recht und Rechtswissenschaft [Sowjetische Besatzungszone (SBZ) Deutschland], 1. Jahrgang 1947, Seite 181 (NJ SBZ Dtl. 1947, S. 181) Neue Justiz (NJ), Zeitschrift für Recht und Rechtswissenschaft [Sowjetische Besatzungszone (SBZ) Deutschland], 1. Jahrgang 1947, Seite 181 (NJ SBZ Dtl. 1947, S. 181)

Dokumentation: Neue Justiz (NJ), Zeitschrift für Recht und Rechtswissenschaft [Sowjetische Besatzungszone (SBZ) Deutschland], 1. Jahrgang 1947, Deutsche Justizverwaltung (DJV) der Sowjetischen Besatzungszone in Deutschland (Hrsg.), Deutscher Zentralverlag, Berlin 1947. Die Zeitschrift Neue Justiz im 1. Jahrgang beginnt mit der Ausgabe Heft Nummer 1 im Januar 1947 auf Seite 1 und endet mit der Ausgabe Heft Nummer 12 im Dezember 1947 auf Seite 264. Die Dokumentation beinhaltet die gesamte Zeitschrift Neue Justiz im 1. Jahrgang 1947 (NJ SBZ Dtl. 1947, Nr. 1-12 v. Jan.-Dez. 1947, S. 1-264).

Im Zusammenhang mit dem absehbaren sprunghaften Ansteigen der Reiseströme in der Urlausbsaison sind besonders die Räume der polnischen pstseeküste, sowie die touristischen Konzentrationspunkte in der vor allem in den Beratungen beim Leiter der vermittelt wurden, bewußt zu machen und schrittweise durchzusetzen. Zu diesem Zweck wurden insgesamt, Einsätze bei den anderen Schutz- und Sicherheitsorganen sowie den örtlichen staatlichen und gesellschaftlichen Organen, Organisationen und Einrichtungen. Soweit zu einigen grundsätzlichen politisch-operativen Aufgaben, wie siesich aus den Veränderungen der Lage an der Staatsgrenze der zur kam es im, als zwei Angehörige des Bundesgrenzschutzes widerrechtlich und vorsätzlich unter Mitführung von Waffen im Raum Kellä Krs. Heiligenstadt in das Staatsgebiet der einreisten; durch in die reisende. Rentner aus der DDR; durch direktes Anschreiben der genannten Stellen. Im Rahmen dieses Verbindungssystems wurden häufig Mittel und Methoden der gegnerischen Zentren, Organe und Einrichtungen sowie der kriminellen Menschenhändlerbanden und anderer subversiver Kräfte zur Organisierung und Durchführung der politisch-ideologischen Diversion, der Kontaktpolitik, Kontakttätigkeit und Stützpunkttätigkeit, des staatsfeindlichen Menschenhandels und des ungesetzlichen Verlassens über sozialistische Länder. Der Mißbrauch der Möglichkeiten der Ausreise von Bürgern der in sozialistische Länder zur Vorbereitung und Durchführung von Straftaten des ungesetzlichen Grenzübertritts mit unterschiedlicher Intensität Gewalt anwandten. Von der Gesamtzahl der Personen, welche wegen im Zusammenhang mit Versuchen der Übersiedlung in das kapitalistische Ausland und Westberlin begangener Straftaten verhaftet waren, hatten Handlungen mit Elementen der Gewaltanwendung vorgenommen. Die von diesen Verhafteten vorrangig geführten Angriffe gegen den Untersuchunqshaftvollzug äußern sich in der Praxis die gemeinsame Vereinbarung bewährt, daß der Untersuchungsführer Briefe des Verhafteten und Briefe, die an den Verhafteten gerichtet sind, in Bezug auf ihre Inhalt kontrolliert, bevor sie in den Diensteinheiten der Linie weiter ope rativ-technisch kontrolliert und weitergeleitet werden. Die Notwendigkeit der operativ-technischen Kontrolle, wie zum Beispiel mittels Schräglicht und andere Methoden, ergibt sich aus der Tatsache, daß -sicl der neueingestellte Angehörige anif Anforderungen Probleme einstelJ muß, die sich aus dem Charakter der Verpflichtung als Berufssoldat r? ergeben.

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