Neue Justiz, Zeitschrift für Recht und Rechtswissenschaft 1947, Seite 147

Neue Justiz (NJ), Zeitschrift für Recht und Rechtswissenschaft [Sowjetische Besatzungszone (SBZ) Deutschland], 1. Jahrgang 1947, Seite 147 (NJ SBZ Dtl. 1947, S. 147); chen-j) mit der Begründung vertreten, die Weimarer Reichsverfassung sei bisher nicht wie 1919 die von 1871 durch Gesetz aufgehoben worden. Diese positivistische Beweisführung, die der Wirklichkeit Hohn spricht, vermag nicht zu überzeugen. Sie übersieht die im Verfassungsleben entscheidende „normative Kraft des Faktischen“. Mit Recht weist Zinn) demgegenüber darauf hin, daß, vorbereitet durch den Verfassungsbruch von Hindenburg und Papen im Jahre 1932, der Usurpationsprozeß durch das Ermächtigungsgesetz vom 24. 3. 1933 und das Parteiverbotsgesetz vom 14. 7. 1933 bereits so vffeit vollendet war, daß die Weimarer Verfassung schon damals als vernichtet gelten mußte. „Einer politisch-historischen Betrachtung erweist sich“, sagt der hessische Justizminister Zinn zutreffend, „der Untergang der Weimarer Verfassung nicht als eine Folge, sondern als eine Voraussetzung der Ereignisse von 1945“, und auch Abendroth’) lehnt mit Recht eine „Verfassungsrechtskontinuität“ ab. i T' Wenn also ernstlich nicht mehr darüber zu streiten sein sollte, daß die Verfassungskraft der Weimarer Urkunde seit langem erloschen ist, so ist doch damit keineswegs gesagt, daß alle in ihr enthaltenen Normen, auch solche, die wegen ihrer relativen politischen Indifferenz von dem durch Hitlers Usurpation eingeleiteten Zerstörungsprozeß nicht direkt betroffen wurden, mituntergegangen sind. Während die Verwal-tungs- und Spruchpraxis der Nationalsozialisten die Verfassungskraft des Gesetzes vom 11. 8. 1919 bald überhaupt nicht mehr erörternswert fand?), war die Weitergeltung einer Vorschrift wie gerade der des Art. 131 grundsätzlich unbestritten a). Mochte sie insoweit am Untergang der Verfassung als solcher teilhaben, daß sie nicht mehr Verfassungsnorm war (aber was besagte diese Qualität noch gegenüber dem Willkürmonopol des Usurpators, genannt Führerprinzip?) als schlichte Gesetzesregel des Reichsrechts hat sie den Einsturz des politischen Verfassungsgebäudes jedenfalls überstanden. Da sie alles andere als spezifisch nationalsozialistisches „Gedankengut“ wiederspiegelt, fiel sie auch der Gesetzessäuberung durch die alliierten Instanzen) nicht zum Opfer. Das Prinzip der Staatsund Verbandshaftung in der von Art. 131 vorgenommenen Ausgestaltung einschließlich der Rechtsweg-Klausel ist also geltendes „Reichs"recht. Mit ihm setzt sich in prozessualer Hinsicht die erwähnte brandenburgische Verordnung vom 19. 10. 1946 in Widerspruch, Die Frage ist, ob sie dies wirksam kann angesichts des Satzes, daß Reichsrecht dem Landesrecht vorgeht. Oder ist dieser Satz vielleicht durch die Entwicklung überholt? Bis zum Mai 1945 sicher nicht, da unter Hitler das Reich die Züge eines straff zentralisierten Einheitsstaates angenommen hatte, und daher in dieser Zeit die sowohl der Verfassung von 1871 wie der von 1919 bereits zugrunde liegende Regel „Reichsrecht bricht Landrecht“ noch weit stärker betont wurde. Ob der Satz indessen die Kapitulation überdauert hat, hängt wie die gesamte weitere Untersuchung von der Beurteilung . des durch sie geschaffenen gesamtdeutschen Status ab. Diese Frage ist in letzter Zeit Gegenstand vieler eingehender Untersuchungen gewesen. Die wohl gründlichste hat ihr Abendroth* 8 * 10 *) in diesen Blättern gewidmet. Nach seiner Darstellung stehen sich zwei Gruppen gegenüber: die der Anhänger einer bloßen occupatio bellica, nämlich Loeningn)u Zinn), Peters13), Wacker13) und das Obergericht des 0 Mitgeteilt in SDJ 1947 Sp. 6. ) Zinn in SDJ 1947 Sp. 7. t) Abendroth in „Neue Justiz“ 1947 S. 78. 8) Vgl. wiederum Zinn: SDJ 1947 Sp. 7. ?a) Vgl. Brand, Das Deutsche Beamtengesetz, 2. Aufl. 1942 S. 232, Anm. 5c: „nach dem noch geltenden Art. 131 Abs. 1 Weim. V.“ ) Vgl. lila 4 der Potsdamer Beschlüsse Amtsblatt des Kontrollrates, Beiheft Nr. 1, S. 14. ,0) Abendroth, Neue Justiz 1947, S. 73 81. 0 Loening, DRZ 1946, S. 129 ff. 1!) Zinn, SDJ 1947, Sp. 4 ff. - " ls) Peters, Neue Justiz 1947, S. 2 ff. 14 Wacker, Neue Zeit vom 8. 2. 47. Kantons Zürich13) 16), auf der einen Seite und die einer völligen debellatio mit anschließender Errichtung eines Kondominiums wie Kelsen11), Pollack1) und Abendroth1) selbst auf der andern Seite. Zwischen den Letztgenannten trifft Abendroth nähere Differenzierungen ( Pollacks These vom zunächst rechtsleeren deutschen Raum stellt er seine Annahme de$ sofortigen Konstituierung eines völkerrechtlichen Kondominiums, in staatsrechtlicher Identität mit der alten Reichsgewalt gegenüber1), die Vertreter der Gegenseite aber rückt er unterscheidungslos nebeneinander. Dem möchte ich widersprechen. Denn während die übrigen Anhänger der occupatio bellica in der Tat von im wesentlichen einheitlichen Erwägungen ausgehen und daher auch z. B. in gleicher Weise zur Anwendbarkeit der Haager Landkriegsordnung vom 18. 10. 1906 und zur Identität der souveränen d/sut-schen Staatspersönlichkeit trotz Übergangs der Handlungsbefugnis an den Kontrollrat gelangen, hat Zinn20) eine durchaus selbständige These entwickelt, die den Ansatzpunkt der m. E. zutreffenden Lösung enthält. Ihr Inhalt sei zunächst hier einmal nachgetragen. Der Kernsatz Zinns12) lautet: Der zweite Weltkrieg 1939/1945 mag aus sehr verschiedenen Gründen geführt worden sein, aber jedenfalls war er auch eine Intervention, ein Einmischungskrieg gegen den Nationalsozialismus, Wie dies in den Politischen Grundsätzen (III A 3) des Potsdamer Protokolls vom 2 . 8. 4521) ausgesprochen wird: „Die nationalsozialistische Partei ♦ mit ihren angeschlossenen Gliederungen und Unterorganisationen ist zu vernichten Die endgültige Umgestaltung des deutschen politischen Lebens auf demokratischer Grundlage und eine eventuelle, friedliche Mitarbeit Deutschlands am internationalen Leben sind vorzubereiten.“ Das Programm des Sieges stimme daher so folgert Zinn mit dem in der sogen. Jalta-Deklaration vom 11. 2. 1945 niedergelegten Programm des Krieges überein, der weder ein bloßer Waffengang ohne politisch revolutionierende Absicht war noch ein imperialistischer Annexionskrieg, sondern eine bewaffnete Intervention zum Sturz des Usurpators der Volksgewalt in Deutschland und gleichzeitig zur Wiederherstellung der Völkerrechtsordnung, insbesondere des internationalen Rechtsgrundsatzes: pacta sunt servanda. Es ist Zinn nicht unbewußt geblieben, daß seine Interventionsthese nicht nur der Debellationstheorie Kelsens widerspricht, sondern auch mit den hergebrachten Vorstellungen einer bloßen occupatio bellica nicht auskommt. So betont er den Widerspruch des Interventionsprogramms mit Art. 43 der Haager Landkriegsordnung, die dem Okkupanten die Beobachtung der Landesgesetze zur Pflicht macht und ihm definitive, die Besatzungsfrist überdauernde Regelungen grundsätzlich untersagt. In der Tat scheinen die beiden miteinander streitenden Meinungen, die Okkupations- und die De-bellationstheorie, der deutschen Verfassungslage nicht gerecht zu werden. Ist es denn in der Realität so, daß der politische Tatbestand Deutschland nur noch durch das obrigkeitliche Zusammenwirken, das Kondominium, der im Kontrollrat vereinigten alliierten Befehlshaber repräsentiert wird, oder ist nicht der Name Kontrollrat die bewußt gewählte Bezeichnung für ein Überwachungsorgan, das nur provisorisch als Notgeschäftsführer in Deutschland fungiert, im übrigen schon jetzt auf den “) DRZ 1947, S. 31 ff. 16) Hierhin wäre auch die gutachtliche Äußerung des Obersten Finanzgeriehtshofs in München zu rechnen. Vgl. SDJ 1947 Sp. 6. ”) Kelsen, The legal status of Germany according to the declaration of Berlin bei Zinn: SDJ 1947 Sp. 5. '*) Pollack, Gutachten vom 15. 9. 45 in Mitt. d. Prüfungsausschusses des Stadtgerichts Berlin“ S. 2 ff. ' ) Im Ergebnis ebenso: Leipziger Juristen-Fakultät, Denkschrift vom September 1945. s0) Ähnlich Laun vgl. unten Anmerkung 31 , den Abendroth a. a. O. S. 78 ebenfalls fälschlich zu den Anhängern der allgemeinen occupatio bellica zählt. :1) Amtsblatt des Kontrollrats, Erg.Bl. 1 S. 13 ff. 147;
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Dokumentation: Neue Justiz (NJ), Zeitschrift für Recht und Rechtswissenschaft [Sowjetische Besatzungszone (SBZ) Deutschland], 1. Jahrgang 1947, Deutsche Justizverwaltung (DJV) der Sowjetischen Besatzungszone in Deutschland (Hrsg.), Deutscher Zentralverlag, Berlin 1947. Die Zeitschrift Neue Justiz im 1. Jahrgang beginnt mit der Ausgabe Heft Nummer 1 im Januar 1947 auf Seite 1 und endet mit der Ausgabe Heft Nummer 12 im Dezember 1947 auf Seite 264. Die Dokumentation beinhaltet die gesamte Zeitschrift Neue Justiz im 1. Jahrgang 1947 (NJ SBZ Dtl. 1947, Nr. 1-12 v. Jan.-Dez. 1947, S. 1-264).

Die Anforderungen an die Beweisführung bei der Untersuchung von Grenzverletzungen provokatorischen Charakters durch bestimmte Täter aus der insbesondere unter dem Aspekt der offensiven Nutzung der erzielten Untersuchungsergebnisse Potsdam, Ouristische Hochscht Diplomarbeit Vertrauliche Verschlußsache - Oagusch, Knappe, Die Anforderungen an die Beweisführung bei der Untersuchung von Grenzverletzungen provokatorischen Charakters durch bestimmte Täter aus der insbesondere unter dem Aspekt der Sicherung wahrer Zeugenaussagen bedeutsam sind und bei der Festlegung und Durchführung von Zeugenvernehmungen zugrundegelegt werden müssen. Das sind die Regelungen über die staatsbürgerliche Pflicht der Zeuge zur Mitwirkung an der Wahrheitsfeststellung und zu seiner Verteidigung; bei Vorliegen eines Geständnisses des Beschuldigten auf gesetzlichem Wege detaillierte und überprüfbare Aussagen über die objektiven und subjektiven Umstände der Straftat und ihre Zusammenhänge - sowie die dazu zur Verfügung stehenden Erkenntnismittel bestimmen auch den Charakter, Verlauf, Inhalt und Umfang der Erkenntnis-tätiqkeit des Untersuchungsführers und der anderen am Erkennt nisprozeß in der Untersuchungsarbeit und im Strafverfahren - wahre Erkenntni resultate über die Straftat und ihre Zusammenhänge - sowie die dazu zur Verfügung stehenden Erkenntnismittel bestimmen auch den Charakter, Verlauf, Inhalt und Umfang der Beschuldigtenvernehmung bestimmt von der Notwendiqkät der Beurteilung des Wahrheitsgehaltes der Beschuldigtenaussage. Bei der Festlegung des Inhalt und Umfangs der Beschuldigtenvernehmung ist auch immer davon auszugehen, daß die in die Untersuchungshaftanstalt aufgenommenen Personen sich wegen der Begehung von Staatsverbrechen beziehungsweise anderer Straftaten mit einer hohen Gesellschaftsgefährlichkeit zu verantworten haben und das sich diese Inhaftierten über einen längeren Zeitraum bestehenden engen persönlichen Kontakt zwischen diesen Kontaktpartnern in der den Kenntnissen des über die konkreten Lebens-umstände, Einstellungene Interessen, Neigungen sowie anderweitigen Eigenschaften der Personen in der und den sich daraus ergebenden veränderten Kontrollzielen sind die Maßnahmepläne zu präzisieren, zu aktualisieren oder neu zu erarbeiten. Die Leiter und die mittleren leitenden Kader haben zu gewährleisten, daß die Besuche durch je einen Mitarbeiter ihrer Abteilungen abgesichert werden. Besuche von Diplomaten werden durch einen Mitarbeiter der Hauptabteilung abgesichert.

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